Aus dem Archiv 1958 – Der Fußball wird zu brutal
Beim Schmökern im Archiv ist mir heute ein Beitrag aus den “Club-Nachrichten”, der FCP-Vereinszeitung vom Dezember 1958 – also von vor genau 60 Jahren – ins Auge gesprungen. Auf Seite 3 findet sich folgender Artikel:
Aus dem Notizbuch des Schriftleiters
Man klagt in vielen Gremien über die Mittelmäßigkeit! Unverkennbar ist der Zug nicht nur aus der Politik, sondern auch in kulturellen und insbesondere im sportlichen Leben auszusteigen. Wenn in früheren Jahrzehnten Funktionäre in genügender Zahl vorhanden waren, leidet man heute unter einer erschreckenden Not. Die Ursache dürfte nicht nur in einer übermäßigen Beanspruchung im Lebenskampf liegen.
Wer heute seine Freizeit für eine Sache zur Verfügung stellt – denken wir einmal an den Sport -, wird in vielen Fällen überfordert. Hierdurch entsteht das Gegenteil von dem, was man im eigentlichen Sinne erwartet. Anstatt Ausgleich gegenüber den Tagesarbeiten entsteht eine Mehrzahl von Spannungen und Belastungen. In den meisten Fällen ist es zwar der Idealismus, der überbrückt. Im Grunde jedoch weicht auch dieser eines Tages der Wirklichkeit. So zieht sich der eine oder andere zurück, weil er sich außerstande fühlt, die ehrenamtlichen Posten so zu bewältigen, wie er sich verpflichtet fühlt. Es geht einfach nicht mehr. Hier entstehen mit der Zeit Lücken, die große Gefahren in sich bergen.
Der Sport braucht nicht nur Nachwuchs auf dem grünen Rasen. Mindestens ebenso wichtig muss die Sorge sein bei der Verwaltung, den ehrenamtlichen Mitarbeitern und den Betreuern die geistige Grundlage zu erhalten. Fußball wird durch Rohlinge um seinen guten Ruf gebracht, meinte die Abendpost in ihrer Ausgabe vom 6. November 1958. Tatsächlich sind bei vielen Vereinen die Spielerausfälle bis jetzt schon so groß, dass man annehmen müsste, dass die Behörden alle vorhandenen Mittel einsetzen, um hier einen Riegel vorzuschieben.
Ich fahre mit dem von A. Walter gezeichneten Artikel fort: Vor knapp 14 Tagen wurden den süddeutschen Oberliga-Schiedsrichtern in einem Lehrgang in Karlsruhe-Schöneck Richtlinien gegeben, wie die zu scharfe Gangart der Punktekämpfe gebremst werden kann. Das Ergebnis dieses Lehrganges kann nach den neuesten Erfahrungen als völlig negativ bewertet werden. Ein Teil der Schiedsrichter sieht die Verstöße nicht oder will sie nicht wahrhaben, weil es an persönlichem Mut mangelt, gegen das rohe und allzu körperliche Spiel der Aktiven energisch Front zu machen. Treffliche Beispiele hierfür sind die kürzlichen Spiele VfB Stuttgart gegen VfR Mannheim (Waldner Brustquetschung, Sawitzki Gehirnerschütterung), Eintracht Frankfurt gegen Viktoria Aschaffenburg, bei dem Mittelläufer Horst durch sein rücksichtsloses Spiel Empörung hervorrief.
Fußball wird nicht mehr gespielt, Fußball wird gekämpft, Die Brasilianer haben durch ihr faires, körperloses Spiel in Schweden bewiesen, dass brillante technische Feinheiten, spielerische Eleganz und körperliche Gewandtheit immer noch die große Klasse des Fußballspiels ausmachen. Kämpferischer Einsatz und Härte sind zweitrangige Mittel. Der Begriff „englische Härte“ hat die Köpfe verwirrt. Was auf den deutschen Sportplätzen teilweise vorexerziert wird, hat mit „englischer Härte“ nichts gemeinsam, sondern stellt nichts anderes als rohes und gemeines Spiel dar. Die eigentliche Schuld, wenn es zu groben Verstößen gegen die Fairness kommt, kann man aber nicht den Schiedsrichtern geben. Der Keim des übertrieben harten Spiels ist vielmehr in den Vereinen selbst zu suchen. Es sind die Trainer, die die Mannschaften „scharf“ machen! Hier muss in erster Linie der Hebel angesetzt werden, um aus den groben Fußballschlachten wieder Fußballspiele zu machen.
In früheren Zeiten waren Spielerverletzungen eine Seltenheit, weil kein Mensch auf den Gedanken gekommen wäre, den gegnerischen Spieler kampfunfähig zu machen. (Solche Sachen gibt es: Sagt ein Trainer zu seiner Mannschaft vor dem Spiel: „Der Rechtsaußen ist der weitaus gefährlichste Mann. In den ersten 20 Minuten ist noch nie einer hinausgestellt worden. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen!“) Mehr braucht wirklich nicht gesagt zu werden, um zu wissen, woher der Wind weht.
Nachdem sich gezeigt hat, dass die Schiedsrichter trotz eindringlicher Ermahnung nicht ein für die Aktiven risikoloses Spiel gewährleisten können, müssen der DFB und die Verbände schärfere Mittel anwenden, damit das schöne Fußballspiel nicht vollends in Verruf kommt. Eine solche Maßnahme wäre beispielsweise eine Platzaufsicht, die nicht nur den Schiedsrichter und die Platzordnung überwacht, sondern auch befugt ist, die Spieler wegen rohen oder gefährlichen Spiels namhaft zu machen, deren Vergehen vom Schiedsrichter nicht gesehen wurden. Wenn auf diese Weise erst die schlimmsten Rabauken geflogen sind, dann wird bei allen Vereinen wieder anständig und fair gespielt werden. An den Verbandsgerichten soll es nicht fehlen, mit Sperren nachhaltigen Eindruck zu machen. Es ist dann schon besser, wenn ein paar zu viel als zu wenig vom Spielbetrieb aus- geschlossen werden.
Man sage nicht, dass sich ein Schiedsrichter nicht Respekt verschaffen könne, wenn er bestimmt und selbstsicher auftreten kann. Hier liefern die englischen Referees ein Beispiel. Auf jeden Fall ist es für den DFB höchste Zeit, dass gegen die Rauhbeine an und hinter der Front energische Schritte unternommen werden.
Mir scheint es, als ziehen sich die Herren der Wirtschaft und Industrie, und noch in stärkerem Maße die Akademiker, zurück. Nicht nur beim Sport allein macht man diese Feststellung. Bei Gesangvereinen und vielen anderen Gremien ist es nicht anders. Man ruft wie so oft nach dem Staat! Gewiss, er kann und muss vieles tun. Von der Erziehung her ist manches und vieles zu schaffen. Der Idealismus für eine Sache aber sollte von innen heraus kommen; im Zuge eines Verantwortungsgefühles der Allgemeinheit gegenüber. Und. hier mangelt es an allen Ecken und Enden!
Weitere Artikel aus dem Archiv folgen in den nächsten Tagen.
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